Ich bin seit zwei Jahren und dreihundertundacht Tagen hier ...
Ich könnte auch sagen ... seit eintausendundneununddreißig Tagen ...
Vierundzwanzigtausendneunhundertundsechsunddreißig Stunden ...
Eine Million vierhundertsechsundneunzigtausendeinhundertundsechzig Minuten ...
Neunundachtzig Millionen siebenhundertneunundsechzigtausend und sechshundert Sekunden - den heutigen Tag nicht mitgezählt, sonst wäre ich ja praktisch die ganze Zeit nur am Zählen. In siebenundfünfzig Tagen habe ich drei Jahre meines Lebens hier verbracht ... Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als ich hergekommen bin. Ich war noch ein Kind. Unbeschwert und fröhlich ... Es war an einem Montag, drei Tage vor meinem zwölften Geburtstag. Ich weiß noch, wie ich mich gefreut habe, als mein Dad an diesem Abend zu mir sagte, ich dürfe ganz allein in den Urlaub fahren. Als Geburtstagsüberraschung ... Mum gab mir einen Kuss auf die Stirn. Sie sagte, ich müsse jetzt tapfer sein, weil ich einige Zeit ohne Eltern auskommen müsse ... Ich antwortete, ich sei tapfer und habe sie lieb und wollte schon immer mal alleine Urlaub machen. Dad nahm mich an der Hand. Er fuhr mit mir in der Limousine, vor die Tore von New Eden, wo wir seit zwei Jahren wohnten, und wenige Minuten lang standen wir ganz allein in der Dunkelheit da und er hielt nur meine Hand. Dann war der Helikopter da, und Dad übergab mich dem Sicherheitsbeamten, der während des Flugs quer über den Atlantik auf mich aufpassen sollte. Mein Vater sah mir nicht in die Augen, als er sich umdrehte, die riesigen metallenen Gittertore wieder aufschwangen und Dad dahinter verschwand. Der Sicherheitsbeamte hielt mir eine kleine Tasse aus hellem Metall hin. Darin schwappte eine Flüssigkeit in einem dumpfen Braunton. Der Typ sagte zu mir, ich solle das Zeugs trinken. Es helfe mir beim Einschlafen. Ich hatte schreckliche Angst, dass der Helikopter über dem Atlantischen Ozean abstürzen würde und in diesem Moment war ich felsenfest davon überzeugt, dass ich meine Eltern nie mehr wiedersehen würde. Wie richtig ich doch lag ... Ich trank die braune Flüssigkeit und wenige Sekunden darauf war ich weggetreten. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dieser kunstlederüberzogenen therapeutischen Liege in diesem Büro und da war diese Frau in dem weißen Kittel. Sie hatte ein Klemmbrett in den Händen und nahm mir meine Personalien ab. Ich fürchtete mich schrecklich, aber die Frau saß nur ruhig und kühl und distanziert da und befragte mich ... Sie brachten mich in dieses gottverdammte Zimmer, in dem ich auch jetzt festsitze, während ich diese Zeilen schreibe. Dieses weiße Krankenhauszimmer ... wobei das hier ja eigentlich ja mehr ein Hospiz ist. Eine Anstalt für Todgeweihte ... Auf dem Schreibtisch lag eine dicke beigefarbene Mappe voller Zettel, Computerausdrucke, auf denen meine Krankheit erläutert wurde und der Zweck meines Aufenthalts. Ich verstand zwar nur die Hälfte, aber soviel wusste ich: Ich käme hier nie mehr raus. Ich würde hier drin verrecken, und niemand würde sich dafür interessieren, weil meine eigene Familie mich bereits für tot erklärt hatte. Offiziell und alles. Und für diese Krankenhaustypen bin ich sowieso nicht mehr und nicht weniger als eine von vielen. Ein Posten in der Statistik.